Interview: "Unsere Hilfe wird benötigt"

Vorstandsvorsitzender Jürgen Müller und Vorstand Martin Faber zeigen auf, warum der Verein Hilfe für Nachbarn Coburg notwendig ist. Und sie können auf dank vieler Spenderinnen und Spender auf einen großen Erfolg verweisen.

Herr Müller, der Verein Hilfe für Nachbarn Coburg ist eine Erfolgsgeschichte?

Jürgen Müller: Der Begriff Erfolg ist an dieser Stelle etwas zwiespältig. Es wäre sicherlich in jedem Fall besser, wenn Initiativen wie Hilfe für Nachbarn nicht nötig wären. Aber wir sind schon stolz, dass wir mit unserer Hilfe einen wichtigen Beitrag leisten, wo andere Systeme – noch – nicht greifen. Denn jede Zeit bringt ihre eigenen, besonderen Herausforderungen mit sich. Persönliche Notlagen können jeden treffen – jederzeit und überall.

Unser Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bürgerinnen und Bürgern aus Coburg Stadt und Land in solchen Situationen schnell und unbürokratisch zu helfen. Diese Idee bewährt sich nun bereits seit 2011. Mittlerweile sind schon über 500 000 Euro als unmittelbare Unterstützung an Hilfsempfänger in unserer Heimat geflossen. Diese Zahlen sprechen für sich und bestätigen, dass unsere Hilfe trotz eines dicht geknüpften sozialen Netzes benötigt wird.

Was geschieht mit dem Geld?

Martin Faber: Hilfe für Nachbarn Coburg engagiert sich direkt vor Ort – für Menschen in vorübergehenden Krisensituationen in Coburg Stadt und Land. Rund 150 Anträge erreichen uns jedes Jahr. Die Problemlagen sind dabei sehr vielfältig. Die Bandbreite unserer Hilfen erstreckt sich von der Existenzsicherung über Gesundheitsbedarf bis hin zu Möbeln beziehungsweise Haushaltsgeräten.

Wer bekommt Hilfe?

Faber: Nach wie vor werden die Hilfen vor allem von Personen und Familien in Anspruch genommen, die ganz oder aufstockend auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind. Gleichzeitig verzeichnen wir wieder mehr Alleinstehende, die Unterstützungen beantragen. Betroffen sind nahezu alle Altersklassen. 80 Prozent der Hilfsempfänger sind zwischen 26 und 60 Jahre alt.

Gibt es bei den Finanzhilfen Schwerpunkte?

Müller: Die Mehrheit der Unterstützungsleistungen liegt im Bereich unter 200 Euro. Hier stehen an erster Stelle nach wie vor existenzsichernde Unterstützungen in aktuellen Notlagen, wie zum Beispiel der Zuschuss zu Lebensmitteln. Bei den Leistungen über 200 Euro dominieren die Zuschüsse für die Anschaffung von Möbeln, Haushaltsgeräten, Fahrt- und Umzugskosten, Gesundheit sowie Kinder und Bildung. Hiervon entfällt ein großer Teil der finanziellen Leistungen tatsächlich auf Haushalts- und Elektrogeräte sowie auf Möbel.


Wie können Spenderinnen und Spender sicher sein, dass jeder Cent, den sie zur Verfügung stellen, bei Hilfsbedürftigen ankommt?

Faber: Dass wir in solchen Größenordnungen helfen können, verdanken wir engagierten Spenderinnen und Spendern. Alle im Verein Mitwirkenden sind ehrenamtlich tätig. Es fallen keinerlei Verwaltungskosten an. So ist sichergestellt, dass alle erhaltenen Gelder ohne jeglichen Abzug ausschließlich notleidenden Menschen aus der Stadt und aus dem Landkreis Coburg zugutekommen.


Ist Hilfe für Nachbarn überhaupt noch notwendig, nachdem es für unverschuldet in Not geratene Menschen vielfältige staatliche Hilfen und zahlreiche soziale Organisationen gibt?

Müller: Die Regierung ist bemüht, Krisen abzufedern mit den verschiedensten Sozialschutzpaketen, Energiezuschüssen, Preisbremsen sowie Neuerungen in der Sozialleistungsgebung. Ich nenne hier Bürgergeld oder Wohngeld. Durch diese Neuerungen werden noch mehr Menschen berechtigt sein, staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Dies wird aber zur Folge haben, dass die hilfesuchenden Menschen teilweise mehrere Monate auf eine Entscheidung und auf einen Erhalt der staatlichen Leistungen warten müssen. Die langen Bearbeitungszeiträume bedeuten für mehr und mehr Familien eine finanziell prekäre Situation, die durch unsere Überbrückungshilfen abgefedert werden können. Die zahlreichen anderen Organisationen leisten natürlich ebenfalls wertvolle Dienste für die Bürger in der Stadt und dem Landkreis Coburg, aber zumeist konzentriert auf ganz konkrete Vorhaben.


Und der Verein Hilfe für Nachbarn…

Müller: …verfolgt solche konkreten Vorhaben nicht. Wir unterstützen Menschen aus der Region in verschiedenster Weise durch Unterstützungen zur Überwindung besonderer Lebensumstände. Daher können die staatlichen Hilfen und die Leistungen anderer Organisationen unseren Bereich nicht abdecken. Wir leisten dort Unterstützung, wo staatliche Hilfen nicht oder noch nicht greifen. Unsere Partner Caritas, Diakonie, ASB, AWO und BRK sowie die Jugendämter von Stadt und Landkreis Coburg leisten dabei eine unverzichtbare Arbeit bei der Beurteilung der Hilfsanfragen. Durch das bei unseren Partnern gebündelte sozialpädagogische, sozialrechtliche und kaufmännische Know-how sind diese in der Lage, den tatsächlichen Hilfsbedarf im Einzelfall kompetent zu prüfen, die zeitgerechte Möglichkeit staatlicher Hilfen in dem konkreten Fall auszuschließen und somit die zweckmäßige Verwendung der Spendengelder sicherzustellen.


Wo sehen Sie in diesem Jahr Schwerpunkte der Unterstützung, die Hilfe für Nachbarn leisten kann?

Faber: Dass auch bei uns die Not größer wird, beobachten wir schon seit einiger Zeit. Durch die jüngsten Entwicklungen bei der allgemeinen Inflation sowie den gestiegenen Energiepreisen müssen wir davon ausgehen, dass der Kreis der Hilfesuchenden eher größer wird.

Wir können aber keine laufenden Unterstützungen zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten leisten oder gar Nachzahlungen bei Energiekosten übernehmen. Unsere Unterstützungen stellen Überbrückungshilfen dar, um vorübergehende – verschiedenste – Notlagen zu lindern oder zu beheben. Besondere Schwerpunkte für das Jahr 2023 sehen wir daher nicht.


Welches Ziel hat sich der Vorstand von Hilfe für Nachbarn für dieses Jahr gesetzt?

Müller: Wir glauben, dass die staatlichen Hilfen zur Bewältigung der durch Inflation und insbesondere durch gestiegene Energiekosten die Bedarfe bei Familien und Alleinstehenden nicht decken werden. Wir erwarten, dass Familien in eine finanzielle Schieflage geraten, die bisher noch nie auf eine Förderung oder gar Spendenleistung angewiesen waren. Personen, die konstant am Existenzminimum leben, werden notwendige Anschaffungen nicht stemmen können. Solchen betroffenen Familien und Personen wollen wir unser Angebot nahebringen und entsprechende Unterstützung leisten, schnell und unbürokratisch.

Der Verein Hilfe für Nachbarn Coburg unterstützt Menschen, die auf der Schattenseite leben. Dank engagierter Spenderinnen und Spender konnte jetzt die Grenze von einer halben Million Euro an Geldern überschritten werden, die an Bedürftige in Stadt und Landkreis Coburg flossen und fließen. Foto: Neue Presse/Peter Kneffel/dpa
Hilfe für Nachbarn Coburg e. V.:
 
• Die gemeinnützige Spendenaktion „Hilfe für Nachbarn“ wurde 2011 zusammen von der Neuen Presse und der Sparkasse Coburg – Lichtenfels ins Leben gerufen.
 
• Bereits seit seiner Gründung engagiert sich der Verein für Menschen aus der Region, die unverschuldet in Not geraten sind. Alle Gelder kommen – ohne jeglichen Abzug – ausschließlich notleidenden Menschen aus der Stadt und aus dem Landkreis Coburg zugute. Verwaltungskosten fallen nicht an. • Der ASB-Regionalverband Coburg, die Arbeiterwohlfahrt Coburg, der BRKKreisverband Coburg, der Caritasverband für die Stadt und den Landkreis Coburg, das Diakonische Werk Coburg sowie die Stadt und der Landkreis Coburg sind Partner von Anfang an. Sie tragen wesentlich dazu bei, dass der Verein zügig und erfolgreich zum Wohle der Hilfsbedürftigen arbeiten kann und die Spendengelder satzungsgemäß verwendet werden. • Jährlich werden ca. 40.000 bis 60.000 Euro für rund 150 Hilfsempfänger zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen zur Vereinsarbeit gibt es
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