Wie der Verein den Wohlfahrtsverbänden hilft, Existenzen zu sichern

Hilfe für Nachbarn unterstützt seit 2011 zahlreiche Menschen in der Vestestadt. Ein Gespräch über die Arbeit des Vereins – und wieso Spenden zur Zeit wichtiger denn je sind.

683 935,04 Euro: So viel Geld ist seit Gründung des Vereins Hilfe für Nachbarn vor 14 Jahren zusammengekommen. Ganze 2173 Anträge (Angaben Stand Ende März) zur finanziellen Unterstützung konnten in Coburg und Umgebung damit erfüllt werden: Sei es eine neue Waschmaschine, die Finanzierung von Medikamenten oder schnelle Hilfe nach einem Wohnungsbrand – die Prämisse des Vereins ist es, zügig und unbürokratisch helfen zu können. Das Besondere: Jeder einzelne Cent der Spenden kommt bei den Menschen an, die das Geld dringend benötigen. Das System funktioniert nur mit Unterstützung der Wohlfahrtsverbände und der Jugendämter von Stadt und Landkreis Coburg, welche die eingegangenen Anträge prüfen. Im Interview berichten Stefan Kornherr von der Diakonie und Tanja Völker und Kerstin Ponsel von der Caritas über die Zusammenarbeit mit dem Verein.

Hilfe für Nachbarn ist ein eingetragener Verein, der Spenden für in Not geratene Coburgerinnen und Coburger sammelt und unbürokratisch verteilt. Was ist hier die Aufgabe der Wohlfahrtsverbände?

Kornherr: Ich bin seit der Gründung des Vereins 2011 mit an Bord. Es war fast von Anfang an klar, dass die Umsetzung der Grundidee über die Sozialberatungsstelle passieren soll. Das ist auch das Sinnvollste. Bei uns in der Beratungsstelle werden die Anträge geprüft. Es gibt zwei Wege, den Antrag zu stellen: Die Menschen haben von den Hilfen für Nachbarn gehört und stellen über uns den Antrag, den wir auch gemeinsam vorbereiten. Der zweite Weg ist über die Beratung selbst. Das heißt, dass Menschen zu uns kommen, erst mal ein ganz anderes Anliegen haben, aber sich dann eine akute finanzielle Problemlage herauskristallisiert, beispielsweise dass die Kinder neue Winterkleidung benötigen.

Völker: Hilfe für Nachbarn gibt praktisch die Prüfung der Anträge an uns ab. Das heißt, wir müssen die Notsituation prüfen, also dass eine existenzielle Not vorhanden ist und dass die Menschen, die zu uns kommen, unter einer bestimmten Einkommensgrenze liegen. Das sind die zwei Sachen, die wir prüfen müssen, bevor der Antrag weiterbearbeitet wird.

Im vergangenen Jahr wurden rund 87 000 Euro an finanzieller Unterstützung ausgezahlt. In welchen Situationen kann Hilfe für Nachbarn besonders unterstützen?

Kornherr: Der absolute Klassiker sind Haushaltsgeräte. Beispielsweise geht ganz plötzlich die Waschmaschine kaputt. Offiziell wird durch Sozialhilfe oder das Bürgergeld nur die Erstbeschaffung finanziert, eine Ersatzbeschaffung soll über Ersparnisse erfolgen. Die meisten der Antragsteller haben keine Rücklagen, weil sie mit dem Leben, mit höheren Mietkosten, mit dem Rückzahlen einer Kaution oder ähnlichen Sachen zu kämpfen haben. Wenn keine Rücklagen vorhanden sind, ist eine Waschmaschine aus eigenen Mitteln praktisch nicht anzuschaffen. Das ist ein klassischer Fall für Hilfe für Nachbarn.

Völker: Ebenfalls ganz klassisch sind Fälle der Überbrückung. Das heißt, jemand hat beispielsweise einen Wechsel im Einkommen und benötigt kurzfristig 100 bis 200 Euro. Oft werden hierfür auch Anträge bei Behörden gestellt, das kann sich jedoch aus verschiedenen Gründen hinziehen. Darauf kann die Person oft einfach nicht warten und braucht eigentlich sofort Geld für Lebensmittel oder Pflegeartikel.

Was ist das Besondere an Hilfe für Nachbarn?

Völker: Bei anderen Verbänden und Vereinen ist es wesentlich aufwendiger, einen Antrag zu stellen. In akuten Notsituationen ist es aber oft so, dass es einfach schnell gehen muss. Hier unterstützt Hilfe für Nachbarn enorm.

Ponsel: Der Verein gibt uns die Möglichkeit, Existenzen zu sichern. Wir können unbürokratisch und wirklich sehr schnell helfen. Insofern hilft der Verein ungemein dabei, Menschen in Coburg Stadt und Land zu entlasten. Wir haben viele alleinstehende Rentner, die wirklich eine geringe Rente haben und sich oft wichtige Medikamente nicht leisten können. Die Caritas als Wohlfahrtsverband kann jedoch Bedarfe der Menschen nur in einem begrenzten Umfang decken. Wir können beratend für die Menschen da sein, bei Schwierigkeiten beistehen und Anträge ausfüllen. Aber diese finanziellen Nöte kann die Caritas nicht alleine stemmen.

Kornherr: Tatsächlich ist der Verein nicht die einzige Möglichkeit, die wir nutzen können, um Beihilfe zu organisieren, aber es ist die unkomplizierteste. Mit Geld zu helfen, ist manchmal dringend notwendig und eine ganz konkrete, gute Form der Hilfe. Oft ist diese praktische, schnelle und unkomplizierte Unterstützung der erste Baustein, um eine nachhaltigere, gute Entwicklung zu gewährleisten und um sozusagen die nächsten Schritte weiterzugehen. Es ist einfach eine sehr konkrete Starthilfe, die den Leuten dann auch Mut macht, den Weg weiterzugehen.

Welche Fälle sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Kornherr: Ohne Namen zu nennen oder Rückschlüsse auf die Person zu liefern, bleiben mir vor allem die Fälle im Kopf, in denen es um partnerschaftliche Gewalt geht. Die betroffenen Frauen wissen oft keinen Ausweg, es gibt finanzielle Probleme, wenn sie versuchen, den Partner zu verlassen. Wenn eine Frau mit Kindern in eine neue Wohnung zieht und für die Erstausstattung finanzielle Unterstützung benötigt, ist es für sie, die bereits gewaltbetroffen ist, eine ziemliche Tortur, sich auch noch um Anträge zu kümmern. Das sind Fälle, die bei mir hängen bleiben. Es ist gut, dass hier schnell unterstützt werden kann.

Ponsel: Aber es gibt natürlich schon immer wieder auch mal Fälle, in denen akute Krisen auftreten. Da gab es beispielsweise den Fall in der Stadt, bei welchem eine Waschmaschine ausgebrannt ist und einen Wohnungsbrand verursacht hat. Da ging es dann auch darum, dass die Betroffenen für die Zwischenunterkunft im Notfall ein paar Möbel brauchten. Statt konkreter Fälle sind es bei mir eher die Persönlichkeiten, die dahinter stehen. Die Menschen, denen wir helfen können und die dann mit uns in Kontakt bleiben, weil sie sehr dankbar sind: Das bleibt einem schon in Erinnerung.

Völker: Ich denke da sofort an Anträge im Bereich der chronisch Kranken, die oft in dauerprekären Situationen feststecken. Hier konnten wir beispielsweise mit Hilfe für Nachbarn für eine Person die Fahrtkosten in die Uniklinik nach Erlangen übernehmen, was vorher nicht denkbar gewesen wäre, und zusätzlich Kosten für die weitere Behandlung. Diese Fälle sind ganz drastisch, weil die Situation dauerhaft schwierig für die Leute ist. Und dadurch, dass sie chronisch krank sind und deswegen auch nicht oder nur sehr begrenzt arbeiten können, wird das Ganze noch schwieriger. In solchen Fällen sind diese Hilfen sehr gut, um diese angespannte Situation zeitweise und schnell zu entlasten.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft und die weitere Zusammenarbeit mit dem Verein?

Kornherr: Ich wünsche mir, dass alles so weiterläuft wie bisher (lacht). Nein, ganz ehrlich: Es ist eine sehr, sehr segensreiche Zusammenarbeit. Also eigentlich sind keine Wünsche offen, ich hoffe aber natürlich, dass das Spendenniveau konstant bleibt oder sogar ansteigt. So können wir auch weiterhin viele Menschen unterstützen.

Völker: Die Welt ist eine andere geworden. Alles ist teurer und es ist sehr verständlich, dass da selbst kleinere Anschaffungen schwierig geworden sind. Wir merken definitiv, dass die Menschen immer schwieriger mit dem Geld hinkommen. Im Niedriglohnsektor oder bei denen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, wird es weiterhin schwierig bleiben. Insofern sind wir sehr dankbar für eine sehr gute Zusammenarbeit und hoffen, damit auch weiterhin Menschen finanziell unterstützen zu können.

 

(erschienen am 8. April 2024 bei der Neuen Presse Coburg)


Hilfe für Nachbarn Coburg e. V.:
 

Spendenverein Hilfe für Nachbarn lindert seit 2011 die Not der Mitmenschen in Stadt und Landkreis Coburg. Gegründet wurde der Verein von der Sparkasse Coburg-Lichtenfels und der Neuen Presse.

Stiftung Der Verein geht auf eine Stiftung zurück, die von einer Coburgerin, die anonym bleiben möchte, ins Leben gerufen worden ist. Mehr Informationen dazu unter www.hfn-coburg.de.

Konto Alle Spenden an Hilfe für Nachbarn werden zu 100 Prozent für diejenigen verwendet, die das Geld benötigen. Wer helfen will, spendet auf das folgende Konto:IBAN DE35 7835 0000 0040 3382 46

Stefan Kornherr (links) von der Diakonie sowie Kerstin Ponsel (Mitte) und Tanja Völker (rechts) von der Caritas sprechen über die Zusammenarbeit mit Hilfe für Nachbarn. Foto: Neue Presse/Emily Fabricius
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